Ein Journalist, Dichter, Fotograf und Arbeiter aus Nordstadt: Erich Grisar

Erich Grisar wurde wie andere vergessene Autoren sehr spät entdeckt. Seine Werke, die sich im Stadtarchiv von Dortmund befinden, sind zufällig ans Licht gekommen. Mit diesen nun entdeckten Bildern beweist der Journalist und Autor posthum, dass er ein ausgezeichneter Fotograf war.

SELÇUK KOZAN

Erich Grisar ist im Jahr 1898 in Nordstadt geboren. Seine Eltern sind Arbeiter, er beobachtet seit der Kindheit die Lebenssituationen der Arbeiter. Aufgrund des Ersten Weltkriegs und der ökonomischen Krisen waren die Lebensverhältnisse der Menschen im Ruhrgebiet ziemlich schlecht. Aus seiner Erfahrung kannte Grisar die Schwierigkeiten der Arbeiter, die diese in ihrem Alltagsleben erfuhren. Er lernte ab der Kindheit die Bedeutung des Begriffs “Maloche” kennen, der im Ruhrgebiet für diejenigen, die schwere Arbeit leisten müssen, benutzt wird. In dieser Zeit mussten auch die Kinder schwierigste Bergarbeit verrichten. Als Erich Grisar 18 Jahre alt war, wurde er zu einer Kriegsfront geschickt und hat dort schwere Verletzungen erlitten. Obgleich er sich nach dem Krieg für kurze Zeit in sein Inneres zurückzog, begann er zu sich zurückzufinden und in Nordstadt zu arbeiten. Zwei Jahre später, im Jahr 1922, zog er nach Leipzig um, um in einer Stahlfabrik zu arbeiten. Er wollte seine im Krieg verfassten Gedichte unter dem Titel “Morgenrot” verlegen. Dabei konnte er keine Herausgeber finden, obwohl es in Leipzig viele Verlage gab. Im Jahr 1924 kehrte er wieder nach Dortmund zurück, heiratete und begann als Brückenbautechniker zu arbeiten. Gleichzeitig war als freier Journalist und Bildreporter tätig.

Mit seinen Bildern, Gedichten und Romanen setzte Erich Grisar es fort, die Stadt zu fotografieren und über sie zu schreiben. Im Ruhrgebiet sein Leben zu führen, war für die Arbeiter ziemlich schwierig, weil das Gebiet die wichtigste Industrie- und Bergbauregion in Deutschland war. Grisar begann seine ganze Zeit im Arbeitermilieu zu verbringen, das normalerweise niemand sehen möchte: die schwere Arbeit, Armut, Krisen, Kinderarbeiter und Klassenkampf… Er fotografiert und schreibt Beiträge über die Verhältnisse der Arbeiter in Nordstadt, in Dortmund, im ganzen Ruhrgebiet. Nachdem er mit seinen Aufsätzen, Gedichten und Bildern bekannt geworden war, trat er einem Verband für revolutionäre Proletarier bei.

EUROPA-REISE

Um die Lebensverhältnisse der anderen Arbeiter kennenzulernen, begann Grisar in 1930er Jahren in andere europäische Länder zu reisen. Sein Ziel war, die unterschiedlichen Situationen der Arbeiter und anderer Industriegebiete zu entdecken. Auf seinem Weg besuchte er Holland, England, Polen und Italien. Daraufhin verfasste er seine Beobachtungen “Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa. Bilder und Berichte”. Unter dem Titel “Ruhrstadt. Porträt einer Stadt.” verlegte er im Jahr 1933 einen Roman über das Ruhrgebiet, über die Auswirkungen der Finanz- und Weltwirtschaftskrise auf die Arbeiterschaft. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, gab es keine Zeitung mehr, in der er seine Bilder oder Schriften veröffentlichen konnte. Von den politischen Auseinandersetzungen ist er ferngeblieben, versuchte keinen offenen Kampf gegen das Regime zu führen, vielmehr setzte er die Erzählungen über den Alltag und das Leben von Arbeitern fort.

In der Zeit verfasst er auch einen Roman über das Thema Krieg. Es geht um die Zerstörung der Stadt Dortmund. Diesen Roman konnte er nicht veröffentlichen. Nach dem Krieg kann er wieder frei schreiben. Seine literarische Tätigkeit führt er weiter und arbeitet als Herausgeber für einen Gedichtsammelband, der sich an deutsche Migranten richtet.

2011 ENDECKTES KULTURERBE

Im Jahr 1955 scheidet Erich Grisar aus dem Leben und hinterlässt Tausende von Bildern und Dutzende von Gedichten und Büchern. In Stadtarchiv Dortmund wurden 2011 Tausende Fotographien gefunden. Von den 7500 Fotografien von 1928 bis 1933 wurden 4350 Fotoaufnahmen digitalisiert, um sie zugänglich zu machen. Seine Bilder wurden im Jahr 2016 in Nordstadt in vielen Schulen und in den Städten des Ruhrgebiets ausgestellt. Mit seinem sozial-demokratischen Hintergrund und seiner Erfahrung als Sohn einer Arbeiterfamilie, ist die Haltung von Grisar offenbar. Seine politischen Ansichten und Ideale sind nicht unabhängig vom Klassenkampf der Arbeiter. Er wollte über die Situation der Arbeiter schreiben, sie fotografieren und einen Beitrag zum Klassenkampf leisten. In einem Beitrag schreibt das Folgende: “Ich hoffe, dass meine Arbeiten sich einen Platz in der sozialen Literatur sichern, und halte mich im übrigen daran, die Gefühle und Stimmungen der Klasse, der ich entstamme, zu gestalten. Einmal, dass der Klassenfremde den Arbeiter versteht, zum anderen, dass der Arbeiter Klassenbewusstsein, ja Klassenstolz bekomme.” In seinen Werken betont er nicht nur die Hoffnungslosigkeit, die durch die Desorganisation der Arbeiterklasse entstanden ist, sondern vermittelt den Arbeitern auch die Botschaft, dass sie stark sind.

(Übersetzung: Ali Rıza Kılınç und Katrin Abromeit)

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