„Im Norden geht die Sonne auf.“

Herr Manz, Sie haben viele Jahre in Dortmund-Nordstadt gelebt. Was hat sich geändert, seit Sie die Nordstadt kennen gelernt haben? Die Nordstadt von gestern bis heute: Vergleichen Sie bitte Vergangenheit und Gegenwart, das Alte und das Neue?

  • Früher sagte man: „Im Norden geht die Sonne auf.“ Die Redewendung kommt von dem roten Himmel, den der Stahlabstich in der Westfalenhütte erzeugte. Die Nordstadt war ein klassischer Industriearbeiter-Stadtteil, der hauptsächlich von Hoesch, der Westfalenhütte, gelebt hat. Auch die Bier-Brauerei war noch ein größerer Arbeitgeber. Der Bergbau war zu meiner Zeit schon Geschichte. Lange Zeit war die Nordstadt so etwas wie das typische Dortmund der klassischen Industriearbeiterschaft, die stramm gewerkschaftlich organisiert war und den Ruf von Dortmund als Herzkammer der Sozialdemokratie begründet hat. Dann kam mit dem Ende der Stahlindustrie die  Arbeitslosigkeit. Man kann sagen, dass seitdem die Nordstadt in vielen Bereichen sozial verelendet ist.  Sie musste die Folgen des „Strukturwandels“, wie es beschönigend heißt, tragen. Hinzu kam der neoliberale Sozialabbau, der vor allem die Nordstadt getroffen hat.

Was denken Sie über die Nordstadt?

 – Ich denke, dass die Nordstadt auf jeden Fall deutlich besser ist als ihr Ruf. Die Probleme, die        die Nordstadt hat – ich habe das  ja schon angedeutet – haben die Leute,  die hier leben, nicht  verursacht. Sie sind am stärksten von dem industriellen Umbruch und auch von dem neoliberalen Sozialabbau betroffen.

Ich finde, dafür dass sie die Hauptlast  diese schwer wiegenden Veränderungen zu tragen haben, kriegen die Menschen in der Nordstadt das Zusammenleben verdammt gut hin. Sie werden zu unrecht für Verhältnisse an den Pranger gestellt, für die sie nichts können.

Halten Sie es für ein Problem, in der Nordstadt zu leben?

  • Es kommt drauf an, für wen:  Für mich als Erwachsenen und auch für meine Frau war es kein Problem. Wir haben lange in der Nordstadt gelebt und nicht schlecht gelebt. Aber es gibt schon einige Probleme, wenn man Kinder hat. Das beginnt bei der für Kinder doch sehr gefährlichen Verkehrssituation. Und es setzt sich dann fort mit den ganzen Einrichtungen für die Kinder,  die einfach nicht ausreichend ausgestattet sind – gemessen an der Problemlage, die in der Nordstadt existiert. Es gibt in der Nordstadt sehr viele engagierte und gute Lehrerinnen und Lehrer. Auch die Erzieherinnen in den Kindergärten, den Kitas und der Tagesbetreuung geben sich große Mühe. Aber es gibt sehr viele Kinder mit besonderem  Förderbedarf. Dieser besondere Förderbedarf wird nicht  annähernd gedeckt. Deswegen arbeiten alle am Limit. Das kann man den eigenen Kindern, wenn man es nicht muss, nicht zumuten.

Waren Sie mit Ausländern befreundet? Haben Sie noch Freunde?

  • Ja. Ich habe meine Frau in der Nordstadt kennen gelernt. Sie kam aus der Türkei. Ich habe auch heute noch viele Bekannte und Freunde in der Nordstadt – sowohl deutsche als auch nicht-deutsche. Ich mag die Nordstadt. Ich gehe häufiger hin und treffe mich mit Bekannten und Freunden. Von daher kann ich die Frage nur mit ja beantworten.

Mit Migrantinnen befreundet oder bekannt zu sein, ist das schwierig?

  • Nein. Es ist überhaupt nicht schwierig, wenn man es selber möchte. Die meisten Menschen in der Nordstadt, egal welcher Herkunft, sind eigentlich sehr offen, ehrlich und kontaktfreudig. Es ist, glaube ich, einfacher, in der Nordstadt Kontakte zu finden und Kontakte zu knüpfen als in anderen Stadtteilen. Wir leben jetzt z.B. in einem anderen Stadtteil.  Da gibt es kaum Kinder auf der Straße. Man kennt kaum die eigenen Nachbarn. Das war in der Nordstadt anders.

Was ist zu tun, um das Zusammenleben zu stärken? Was sind die Prioritäten?

  • Auf jeden Fall wäre es wichtig, den Kindern, die in der Nordstadt leben, gleiche Bildungschancen zu garantieren . Wenn alle sagen würden, das sind unsere Kinder, das sind die Dortmunderinnen und Dortmunder von morgen, wäre schon viel gewonnen. Wenn man dagegen die  Einstellung hat, die viele Politiker heute noch haben, dass die Nordstadt-Kinder die Kinder der „anderen“ sind, dann geht Integration natürlich schief. Die Nordstadt ist der kinderreichste Stadtteil von Dortmund.  Was aus den Kindern wird, die in der Nordstadt aufwachsen, das wird die Zukunft  Dortmunds ganz entscheidend prägen. Deswegen ist es wichtig, hier vor allem in die Ausbildung der Kinder und Jugendlichen zu investieren – diskriminierungsfrei: Allen, völlig egal, woher sie kommen, ein auskömmliches  Leben ermöglichen: Das wäre die beste Zukunftsinvestition.  Das würde den  Zusammenhalt sowohl in der Nordstadt als auch in der gesamten Stadt stärken.
  • Es ist notwendig, die Erwerbslosigkeit aktiv durch öffentlich geförderte Arbeitsplätze zu bekämpfen. Arbeitslos ist die Nordstadtbevölkerung eigentlich nicht. Nach meiner Erfahrung wird nirgendwo so viel und so hart gearbeitet wie in diesem Stadtteil. Aber es wird erbärmlich wenig verdient. Im sozialen und ökologischen Bereich gibt es sehr viel sinnvolle Arbeitsmöglichkeiten z.B. in der Wohnungssanierung, oder der Kinderbetreuung, der Hilfe für ältere Menschen usw. 

Ein weiterer Bereich, der sehr viel öffentliches Engagement erfordert, ist der Wohnungsmarkt. Es gibt viel Überbelegung in der Nordstadt.  Es gibt auch beginnende Spekulation, wo Luxus saniert wird und Mieter vertrieben werden. Das muss reguliert werden durch einen umfangreichen öffentlichen Wohnungsbestand, wo Menschen zu vernünftigen bezahlbaren  Preisen angemessener Wohnraum zu Verfügung gestellt wird.

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