Die Kultur des Zusammenlebens

Der kollektive Solidaritätsgeist ist das ehrenhafteste und tugendhafteste Verhalten des Menschen. Räumen wir der Kunst in unserem Leben für eine kollektive, produktive Gesellschaft, für die Brücke zwischen den Kulturen, für den immensen Reichtum mehr Raum ein. Sie wird Vielfalt in unser Leben bringen und uns bereichern. Bleiben Sie gesund. Bleiben Sie solidarisch. 

ERDAL DENİZ

Wir leben in einem Aquarium namens Erde. Dieses Aquarium ist unser Zuhause. Natürlich sehnen wir uns in ihr nach einem ruhigen und gelassenen Leben. Leider beschäftigen uns heute eine Reihe von Unterschiedlichkeiten, in denen Faktoren wie Religion, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, sexuelle Orientierung und Klassenordnung eine gewichtige Rolle spielen, die ein friedliches Leben behindern.

Als Folge der Unruhen in unserer Welt werden unzählige Menschen dazu gezwungen aus ihren Ländern und aus den Konfliktgebieten zu fliehen und aus ihren Heimatländern auszuwandern.

In der Hoffnung, Frieden in der Fremde zu finden, überwinden diese Migranten viele Herausforderungen aber begegnen hier ganz neuen Problemen, die sie aus den Heimatländern nicht kannten oder solche unterschätzt und nicht wahrgenommen haben. Es versteht sich von selbst, dass eine gemeinsame, solidarische Anstrengung zwischen den Minderheiten- und Mehrheitskulturen vorausgesetzt wird, um diese Probleme überwinden und ein harmonisches Leben organisieren zu können. Vor allem hat auch die Zunahme der Migration nach Deutschland und innerhalb europäischer Länder, die durch Krieg, Arbeitslosigkeit, Armut und politischer Verfolgung ausgelöst wurden, hat in der Mehrheitskultur Sorgen und Ängste geweckt.

Heute sind diese Ängste zu einem wichtigen Problem des multikulturellen Lebens geworden. Die Nutzung dieser Situation für politische Zwecke durch rechtsextreme Gruppen wie Alternative für Deutschland (AFD) und Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Westens (PEGIDA) hat sich ebenfalls negativ auf die Mehrheitskultur ausgewirkt. Rassistische und religiös-faschistische Gruppen, die eine demagogische Einwandererpolitik betreiben und sich dabei dem Mittel der Manipulation bedienen, begannen ihre rassistische Rhetorik innerhalb der Mehrheitskultur auszubreiten. Sowohl vor dem als auch nach dem 2. Weltkrieg hat Deutschland aber schon historisch große Erfahrungen mit Migration und Flucht gemacht und kennt die damit verbundenen Probleme zu genüge. Daher ist das Konzept der Flüchtlinge ein Konzept, dem die Deutschen überhaupt nicht fremd sein dürften.

Deutsche Bürger, die während des Zweiten Weltkriegs ausgewandert sind, brachten ihre Habseligkeiten nicht nur in die Länder, in die sie gingen, sondern brachten zudem noch ihre Kultur in die Einwanderungsländer mit. Dasselbe gilt aber soweit auch für Zuwanderer aus verschiedenen Nationalitäten, die nach Deutschland kommen. Es ist also nicht richtig und hinnehmbar, das historische Gedächtnis Deutschlands auszulöschen und es mit einer homogenen, kulturellen Identität kleiden zu wollen. Um das Drama der Menschen zu verstehen, die dazu gedrängt wurden in der Fremde zu emigrieren, müssen wir uns mit den Ursachen der Migration intensiver auseinandersetzen und diese verstehen.

Migration ist eine Notwendigkeit. Wir dürfen nicht vergessen, dass die freiwillige gesellschaftliche Teilhabe und Teilnahme der Migrant*innen in dem Land, in das sie ausgewandert sind, von den Vorgaben und Schritten dieser neuen Mehrheitskultur abhängen.

Multikulturalismus basiert als erstes auf der Anerkennung kultureller Unterschiede. Es ist eine assimilierende, antidemokratische Haltung, Einwanderer dazu bestimmen zu wollen, sich von der erworbenen, kulturellen Entwicklung und Basis zu trennen und nur in diesem Fall in die Mehrheitskultur integrieren zu wollen oder schlicht und einfach zu erwarten, indem sie sich aus Gründen der Harmonie von ihren bis dahin erworbenen und vorhandenen kulturellen Werten distanzieren und abkehren. Multikulturalismus basiert auf der Anerkennung kultureller Unterschiede. Dieser Ansatz ist auch für den Ausdruck und die Entwicklung des freien Denkens notwendig.

Heute leben im Vergleich zu früher viel mehr Menschen als Einwanderer außerhalb ihres eigenen Landes. Die Migration macht natürlicherweise die ganze Welt multikulturell, multireligiös und multiethisch. Das müssen wir alle akzeptieren. Wenn wir Multikulturalität als Reichtum und nicht als Mangel verstehen, können wir die Bedeutung des Zusammenlebens noch besser einordnen. Andernfalls tappen wir in die Falle des Populismus und nehmen die andere Seite oder ein anderes Denken immerzu als eine Bedrohung wahr.

Diese Form der Wahrnehmung ist ein großes Hindernis für die Entwicklung einer Demokratiekultur und würde eine konfrontative Denkweise stellen. Rechte Gruppen in den europäischen Ländern haben in letzter Zeit ihre Fremdenfeindlichkeit gegenüber Flüchtlingen stetig verstärkt. Darüber hinaus haben diese populistischen Ansätze der rechten politischen Parteien und eine allgemeine Wahlpolitik, die fremdenfeindlicher und rassistischer Politik den Weg ebnete und freimachte, sie von einer realitätsfremden Betrachtungs- und Sichtweise weit entfernt. Die rechte Mentalität basiert auf einem sogenannten überlegenen Rassendiskurs auf und richtet sich schlicht gegen kulturelle Minderheiten.

Die Verteidigung dieser absurden These und ihre Anerkennung, veranlasste sie im Allgemeinen, eine hierarchische Struktur zwischen den Kulturen zu etablieren. Solche antidemokratischen Ansätze stellen sich als ein gefährliches Hindernis dar, andere Menschen anzuerkennen und dazu beizutragen diese besser zu verstehen. Es ist am besten, die Angst zu bekämpfen, als sie zu leben.

Die größte Angst, die durch Flüchtlingsmigrationen entsteht, wird in den kulturellen Unterschieden zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den Einwanderern aus den unterschiedlichsten Regionen gesucht. Die größte Sorge derjenigen, die sich hinter der Fassade der Mehrheitskultur verstecken und sich für die Einhaltung der vorhandenen Vorschriften und Regeln aussprechen, besteht einzig und allein darin, dass sie für den Fall einer Abkehr von der etablierten, herrschenden Politik den Arbeitsplatz und ihre kulturellen Referenzen verlieren würden.

Vorurteile gegenüber Flüchtlingen, die sich aus dieser Sorge ergeben, machen sie unempfindlich gegenüber denen, die nicht die ihrer sind. Als Lösung besteht der rechtsgerichtete und liberale Ansatz darin, Flüchtlingen den Zugang nach Europa zu versperren und bestehende Gesetze zu verschärfen. Angst, Furcht und die Schließung von Grenzen mit tatsächlichen oder kulturellen Barrieren sind indes keine Lösung. Eine der großen Tugenden des Menschen liegt darin, dass er in den Dialog mit anderen Menschen treten kann. Kunst ist das wichtigste Instrument und die wichtigste Aktivität, die den Dialog zwischen den Menschen erleichtert. Kunst erleichtert die Anerkennung verschiedener Kulturen, zeigt, welche Art von Wohlstandsbrüchen, die als Risikofaktoren angesehen werden könnten, tatsächlich vorhanden sind.

Kunst verbessert die Fähigkeit, sich in die Lage der anderen zu versetzen. Dabei verwendet sie eine universelle Sprache. Mit dieser universellen Darstellungsfähigkeit spricht sie die Emotionen und Gedanken des Menschen an.

Es hilft uns zu verstehen, was nicht verstanden wird. Kunst ist ein mächtiges Kommunikationsmittel, das selbst ein Kind bequem nutzen kann, um sich auszudrücken. Als eine der stärksten Methoden zur Entwicklung der ethischen und moralischen Fähigkeiten der Gesellschaft müssen wir künstlerische Aktivitäten erweitern und weiterentwickeln und kulturelle Projekte kollektiver Initiativen noch mehr unterstützen. Auf diese Weise haben Flüchtlinge die Möglichkeit, die Traumata, die sie erleben und denen sie ausgesetzt sind, einem breiten Publikum durch Kunst zugänglich zu machen und solche mit ihnen zu teilen.

Darüber hinaus können sie in den Fällen, wo Unterschiedlichkeiten zwischen Flüchtlingen und der Mehrheitsgesellschaft nicht verstanden werden, dazu mehr beitragen, kulturelle Unterschiede im Allgemeinen besser und deutlicher aufzuzeigen und zum gegenseitigen Verständnis besser beizutragen. Der kulturelle Unterschied schließt zugleich auch tiefe Spaltungen und Einschnitte innerhalb der Mehrheitskultur mit ein. In der Mehrheitskultur können also auch unterschiedliche Sichtweisen und kulturelle Unterschiedlichkeiten angetroffen werden. Diese Unterschiede und Differenzen bedeuten nicht, dass das eine das andere unbedingt ausschließen muss. Das sollte es um jeden Preis nicht.

Es ist möglich, den Dialog zwischen den Kulturen zu stärken, indem man die konstruktive, restaurative Kraft der Kunst nutzt. Die Kultur des Zusammenlebens trennt uns nicht, sie schmälert uns nicht; im Gegenteil, es macht dich noch menschlicher.

Der kollektive Solidaritätsgeist ist das ehrenhafteste und tugendhafteste Verhalten des Menschen. Räumen wir der Kunst in unserem Leben für eine kollektive, produktive Gesellschaft, für die Brücke zwischen den Kulturen, für den immensen Reichtum mehr Raum ein. Sie wird Vielfalt in unser Leben bringen und uns bereichern. Bleiben Sie gesund. Bleiben Sie solidarisch. 

(Übersetzung: Özgür Metin Demirel)

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*