Das Getränk des kleinen Mannes: Beer

Interview mit Ferdinand Laudage

Ferdinand Laudage 1982 geboren und aufgewachsen am Dortmunder Borsigplatz, also Kind der Nordstadt. Freier Journalist, PR-Schaffender, Fachbuchautor, Gründer der Bieragentur Dortmund (Schwerpunkte: Beratung von Gastronomie und Handel zum Thema Bierspezialitäten und Craft-Bier, Bierverkostungen, Brauseminar), Diplom-Biersommelier seit 2015.

HÜSEYİN KANTAŞ

Beginnen wir mit der Geschichte des Bieres. Die Chinesen, Sumerer, Ägypter, Hethiter und fast alle alten Zivilisationen kennen sich mit Bier aus. Tatsächlich erhielten die Arbeiter Bier als Tageslohn. Bier in den Hethitern wurde „flüssiges Brot ekmek“ genannt. Was bedeutete Bier in der Antike?

Bier spielte schon seit jeher eine große Rolle, das stimmt. Und die Formulierung „flüssig Brot“ trifft den Nagel auf den Kopf: Die Sumerer gaben zum Beispiel zerkleinertes Fladenbrot in Vasen, übergossen es mit Wasser und ließen dieses Brot-Wasser-Gemisch für einige Zeit in der Sonne gären. So einfach wurde um 4000 vor Christus in etwa Bier gemacht. Anschließend genoss man es gemeinsam in geselliger Runde. Letztlich dürfen wir uns aber bei den Römern bedanken, dass Bier heute so hergestellt wird, wie wir es kennen. Die römischen Heere lernten Bier in seiner Reinform erstmals durch die Germanen kennen, die ihr Gebräu ebenfalls noch auf Basis von kurzgebackenem Brot herstellten. Obwohl es ein Getränk der Barbaren war, erkannte Julius Cäsar, wie nährstoffreich und kräftigend Bier war. Auf sein Geheiß hin kopierten und optimierten die Römer also diese Grundidee und griffen erstmals direkt zu Getreidesorten wie Gerste oder Weizen für die Bierherstellung. Und die Griechen? Auch die liebten Bier. Hippokrates zum Beispiel berichtet in seinen Schriften vom „Gerstensud“, der gerade bei Fieber und Schlaflosigkeit eine heilende Wirkung habe.

Es heißt, dass im Mittelalter mehr Bier getrunken wurde. Was bedeutete Bier in der Feudalkultur des mittelalterlichen Europas? Die Armen oder die Edlen trinken Bier?

Im Mittelalter trank man Bier, um gesund zu bleiben. Brunnen und Flüsse waren oft verdreckt, das Wasser machte die Menschen krank. Das leichtalkoholische Bier war eine gute Alternative, es lieferte zudem wichtige Nährstoffe. Selbst Kinder tragen in dieser Zeit über den gesamten Tag verteilt Bier. Es gab nun mal keine gesündere Alternative. Die Reichen und Edlen tranken natürlich Wein. Dieser war teurer und den Betuchteren vorbehalten. Das geflügelte Wort „Wein auf Bier, das rate ich dir. Bier auf Wein, das lass sein“ stammt aus dieser Zeit. Wer einmal reich genug war, Wein zu trinken, wollte sich in der Öffentlichkeit keine Blöße mehr geben und zum Bier greifen müssen. Bier war eben das Getränk des kleinen Mannes.

Ferdinand Laudage

„Die Reichen und Edlen tranken natürlich Wein. Wer einmal reich genug war, Wein zu trinken, wollte sich in der Öffentlichkeit keine Blöße mehr geben und zum Bier greifen müssen. Bier war eben das Getränk des kleinen Mannes.“

Als nach der industriellen Revolution die ersten modernen Fabriken Deutschlands gegründet wurden? Können Sie uns etwas über die Bierkultur erzählen, die in der Neuzeit als „Arbeitergetränk“ bekannt war?

Nicht nur in Deutschland, vor allem in England spielte Bier zu Zeiten der Industrialisierung eine große Rolle. Die Londoner Hafenarbeiten wurden zum Beispiel mit einem dunklen kräftigen Porter-Bier während der Arbeit bei Laune gehalten. Eine lange Mittagspause hätte zu viel Zeit gekostet und das Bier sättigte und sorgte für beste Stimmung bei den Arbeitern. Aber selbst verständlich war auch in Deutschland Bier zu dieser Zeit wichtig. Da, wo viel gearbeitet wurde, wurde auch immer viel getrunken. Bier brachte neue Energie für die Arbeitskräfte.

Dortmund ist früher auch als Bierstadt bekannt. Als es vor 100 Jahren Dutzende von Brauereien gab, warum gibt es jetzt nur noch eine Fabrik?

Ganz so weit muss man gar nicht zurückgehen. Dortmunds große Zeit als wichtigste Bierstadt Europas liegt erst 60 bis 70 Jahre zurück. In den 1950er wurde Dortmunder Bier nicht nur lokal getrunken, sondern auch in viele andere Städte weltweit exportiert. Als das Zechensterben begann und viele Menschen kein Geld mehr für das Feierabendbier in der Eckkneipe hatten, begann auch das große Brauereisterben in Dortmund. Hinzu kam, dass der Bierstil, der Dortmund berühmt gemacht hatte, das Dortmunder Helle namens Export, längst überholt war. Überall wurde das moderne und schlankere Pils getrunken. Die Absatzzahlen der Dortmunder Traditionsbrauereien wurden immer schlechter. Fast wäre das Bier komplett aus Dortmund verschwunden, aber der Dr.-Oetker-Konzern, in Form der Radeberger Gruppe, übernahm alle Marken und legte die alten DABBrauerei an der Steigerstraße als einzigen Braustandort für alle Traditionsmarken fest. So konnte zumindest noch das Bier, wenn auch nicht die Brauereien, in Dortmund gehalten werden.

Die Leute suchen jetzt nach originellen Aromen anstelle von Industriebieren, die den gleichen Geschmack haben. Wie viele Biersorten gibt es auf der Welt? Kannst du uns etwas über die Unterschiede erzählen?

Es entstehen ständig neue Bierkreationen, da ist es schwer, eine bestimmte Zahl zu nennen. Im Grunde sind dem Brauer keine Grenzen gesetzt. Er kann die Zutaten aus Wasser, vermälztem Getreide, Hopfen und Hefe so variabel kombinieren, dass schlussendlich unendlich viele Biersorten entstehen könnten. Dunkle, helle, malzige, weniger malzige, hopfig-bittere, hopfig-fruchtige, denn der Hopfen bringt reichlich Öle mit, die teilweise wie ganze Obstkörbe riechen. Und auch die unterschiedlichen Hefestämme bringen immer völlig neue Aromen ins Bier, je nachdem, wie hoch die Gärtemperatur ist.

Wie wurden Bier schemecken? Gibt es eine bestimmte Reihenfolge wie beim Wein?

Wenn man Biere zu Hause ohne Anleitung verkosten möchte, rate ich immer dazu, von alkoholarm zu alkoholstark und nach Möglichkeit auch von hell nach dunkel zu trinken. Je dunkler das Bier, desto intensiver sind oftmals die Aromen. Und Alkohol ist ein Geschmacksträger und spielt daher auch eine wichtige Rolle.

Während in der Vergangenheit Industriebiere verbereitet waren, haben in den letzten Jahren die kleinen Erzeuger zugenommen. Ist es schwer, Bier zu machen? Welche Phasen durchläuft es? Kann es zu Hause gemacht werden?

Bierbrauen ist wie Kuchenbacken. Man muss sich an das Rezept halten, dann wird auch etwas daraus. Jeder kann Bier brauen. Die Kunst der Profis ist es, einen Geschmack reproduzieren zu können. Ein perfektes, fehlerfreies Bier kann der Heimbrauer in seiner Küche mit den einfachen Mitteln nicht herstellen. Aber es ist wie mit der Hausmannskost: Es schmeckt eben doch immer lecker. Und man hat’s selbst gemacht. Wer sich mal versuchen will, sollte mal einen Blick in mein erstes Buch „Craft-Bier einfach selber brauen“ (Verlag Eugen Ulmer, ISBN 978-3-8186-0005-1, € 15,90) werfen, in dem ich den einfachsten Weg, ein Bier zu brauen, vorstelle.

„Immer das gleiche Bier trinken oder nach neuen Aromen suchen?“ Was empfehlen Sie Bierliebhabern?

Jeder nach seiner Fasson. Wer neugierig ist und Lust auf spannende Biere hat, dem bieten sich mittlerweile auch in gut sortieren Supermärkten viele neue Optionen. Ich kann aber auch verstehen, wenn man sich nach vielen Jahren auf seine Standardmarke eingeschossen hat. Jeder Mensch ist anders. Und jetzt darf selbst entscheiden, was ihm am besten schmeckt.

Was möchten Sie abschließend den Lesern von Stimme der Nortstadt sagen?

Genießt euer Bier. Der Genuss muss immer im Fokus stehen. Dann ist es auch völlig egal, was ihr trinkt. Prost!

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