SEVGİ

Ilhan Atasoy

Er hatte an dem Tag weder die Telefonnummer, noch die Adresse von Sevgi bekommen. Aber dafür hatte sie ihm ein Rendezvous gegeben. Das genügte ihm voll und ganz.

Sevgi lebte in einer Stadt, die in eine Entfernung von zweihundert km liegt. Da er hatte ein Auto hatte, machte ihm die lange Strecke nichts aus.

Genau um zwei Uhr wollten sie sich vor dem Elizabeth-Krankenhaus treffen. Dieses Krankenhaus würde er schon irgendwie finden. Bis in den frühen Morgen dachte er nur an Sevgi.

Als er in der Stadt ankam, parkte er sein Auto am Seitenrand, um nicht viel Zeit zu verlieren. Er schaute sich um. Sah ein älteres Paar. Er ging zu ihnen und fragte nach der Adresse.

“Es ist nicht weit weg von hier“, sagte der ältere Mann. “Ich kenne das Krankenhaus sehr gut“

In dem Moment, wo er den Weg beschreiben wollte, mischte sich seine Frau ein.

“Ich kenne es auch“, sagte die ältere Frau. “Es war früher ein Gefängnis. Im Krieg wurde es in Schutt und Asche gelegt. An Stelle des Gefängnisses hat man dann dieses Krankenhaus gebaut“

Er war nicht in der Stimmung, um an den Krieg zu denken. Denn diesen langen Weg will man nicht umsonst gemacht haben.

“Welche Richtung muss ich einschlagen?“

“Sehen sie die Kirche da vorne?“

“Ja. Ich sehe sie“

Wieder meldete sich seine Frau zu Wort.

“Auch diese Kirche hat man zerstört. Damals hat man uns viel Schaden zugefügt.“

“Es tut mir leid. Aber ich habe es eilig. Muss ich links um die Kirche herum, oder rechts herum?“

“Sie müssen links entlang“, sagte der ältere Mann. “Etwa zweihundert Meter später werden sie auf der rechten Seite eine Bäckerei zu sehen bekommen“

Seine Frau ergriff wieder das Wort.

“Dieses Gebäude, wo jetzt die Bäckerei ist, war früher eine Schule. Dort habe ich die Grundschule besucht. Auch dieses Gebäude fiel den Bombardierungen zum Opfer. Im Krieg haben wir viele unsere Lieben verloren“

Er machte sich Sorgen, dass er Sevgi nicht treffen würde, wenn sich das Gespräch in die Länge ziehen sollte.

“Es tut mir leid. Aber ich habe es sehr eilig!“

Die ältere Frau sagte, 

“Wollen sie jemanden im Elizabeth-Krankenhaus besuchen?“

Ohne zu überlegen sagte er,

“Ja“

“Wen?“

“Hmm.. Also… Meine Freundin“

“Was hat sie denn?“

“Die Ärzte konnten noch keinen Befund feststellen. Heute wollen wir Näheres erfahren“

“Gute Besserung“

“Danke schön“

Der ältere Mann benutzte jetzt seinen Stock, um den Weg zu beschreiben.

“Sie müssen von der Bäckerei aus die linke Straße entlang. Zweihundert Meter später erreichen sie die Polizeistation.“

Es sah so aus, als ob seine Frau sich wieder einmischen würde. Um zu verhindern, dass an Stelle der Polizeistation ein anderes Gebäude entsteht, fragte er zügig,

“Dann rechts, oder links?“

“Wenn sie rechts an der Polizeistation entlang gehen, dann sehen sie schon das Krankenhaus“, sagte der ältere Mann.

Er bedankte sich und machte sich auf den Weg.

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