MUSTAFA KARA Im Schatten des Eisengießer Brunnen treffen sich die Geschichten der Eisenarbeiter, der nicht wegziehenden Tauben und der Menschen, die emigriert sind, zusammen. Alle diese Geschichten kommen hier zusammen.
Die Taube ist heimischer Vogel. Sie weiß, wo sie Zuhause ist. Wenn man sie am Ende der Welt aussetzt, dauert es gar nicht lange und sie findet wieder in ihre Heimat, zu ihrem Heim zurück. Den Tauben um den Eisengießer Brunnen in der Nordstadt muss es wohl auch ähnlich ergehen. Das Denkmal ist älter als 100 Jahre. Die Geschichte der Eisengießer, die sie erzählt, ist noch älter. Die Geschichte der Tauben, die frei und ungestört um den Brunnen fliegen oder auf dem Kopf oder dem Schulter des Eisengießerskulpturen Platz nehmen, reicht auch viel weiter.
Im Schatten des Eisengießer Brunnen treffen sich die Geschichten der Eisenarbeiter, der nicht wegziehenden Tauben und der Menschen, die emigriert sind, zusammen. Diese Geschichten gehen hier ineinander über.
DIE TAUBEN AUS ALEPPO, DIE MIGRANTEN DER NORDSTADT
Als Erstes möchte ich zu den Tauben kommen. Die Taube findet immer nach Hause zurück. Aber was passiert, wenn sie ein weiteres Zuhause hat, das sie hinter sich lassen musste. In den Anfängen des Syrienkrieges hatten Nachrichtenagenturen insbesondere darüber berichtet, dass die berühmten Tauben Aleppos die türkische Grenze überflogen und Zuflucht in Hatay gesucht und gefunden hätten. Diejenigen, die sich mit der Vogelzucht auskennen, wissen auch, dass Vogelzucht eine Leidenschaft ist. Sie ist ein Zustand, die an einer Krankheit grenzt… Ein Vogelzüchter aus Hatay hatte mal erzählt, wie Tausende Tauben vor den Bomben flohen und in Hatay emigrierten. Gibt es wohl unter den Tauben, die um den Eisengießer Brunnen in der Nordstadt fliegen, auch welche, die aus Syrien kommen? Oder gibt es unter ihnen auch welche, die aus dem Heimatland aller Tauben, aus Südafrika stammen? Die Tauben, die gelernt haben sich an die Magnetwellen der Erde zu orientieren und wegen ihrem Orientierungssinn als Posttauben Tausende von Jahren dem Menschen alsPostboten dienlich waren, würden wohl auch über die Meere der Welt fliegen können!
Sie könnten diesen Gedanken auch haben, während sie als Gast im Syrischen Restaurant speisen, die ein paar Meter vom Taubenskulptur entfernt liegt. Sie könnten eventuell auch darüber denken, während sie als Kunde vom Buchladen Dost nach Büchern in ihrer Muttersprache suchen. Es kann wohl auch passieren, dass Sie irgendwelchen Menschen begegnen, die ihnen entgegenbringen, dass früher hier nur Türken anzutreffen seien und heute würde man hier nur Syrer sehen. Während sie sich nach Straßenschildern zu orientieren versuchen, können ihnen marokanische Jugendliche oder arbeitslose Bulgaren über die Nordmarkt berichten. Die Tauben leben überall auf der Welt außer im Nord- und Südpol. Wenn sie eventuell auch einen neugierigen Vogelzüchter antreffen, können sie sich eventuell auch mit ihm über Taubenrassen unterhalten und darüber streiten, welche die überlegenere Rasse ist.
“ FRAGT DIE ANDEREN, DIE VOR EUCH DA WAREN“
Sie sollten sich stets an die weisen Worte Karacaoglan erinnern, egal wo sie sich derweil aufhalten: “ Fragt die Anderen, die vor euch da waren. Wer war alles schon da, bevor wir dagewesen.“ Der Syrer soll den Bulgaren, der Marokaner den Türken, der Rumäne den Polen, und alle zusammen den Deutschen fragen. Wir sollten uns alle gegenseitig fragen. Dann sollten wir unseren Kopf hochheben und uns die riesige Skulptur ansehen. Auch wenn wir unter der Arbeitslosigkeit, unter Problemen, die mit der Migration einhergehen, unter Armut, und unter Bildungs- und Wohnungsnot leiden mögen. Das Eisengießer Brunnen soll unseren Fragen eine Antwort geben.
Die Hand des bärtigen Eisengießers macht, das Land der Kohle und des Eisens, also Deutschland zu Deutschland und Dortmund zu Dortmund. Sicherlich haben sich die Menschen, bevor sie diesen Brunnen am 26. Januar 1906 einweihten, vorher gefragt, was für ein Denkmal, eine Skulptur sie hier aufstellen wollten. Auf der einen Seite die Altstadt, auf der Anderen, die wachsenden Eisenbetriebe mit ihren Tausenden Arbeitern und in der Mitte die Kneipen, die Bars, Freudenhäuser und Räumlichkeiten für Feste. Während des 19. Jahrhunderts wurde das Migrantenviertel Schritt für Schritt aufgebaut, die Plätze, seine Straßen, und Gebäude wurden nach und nach gebaut. Die Nordstadt wuchs auf den Händen von Arbeitsmigranten.
Die Skulptur des Eisengießers wird umschrieben zu einer Waffe in den Händen der Nazis
Es gab auch unzählige Menschen, die den Eisengießer sicherlich nicht mochten. Die Nazis haben in einer Nacht- und Nebelaktion genauso wie sie die anderen Eisenskulpturen wegschafften, auch den Eisengießer entfernt. Warum haben sie das wohl gemacht? Sie wollten sie einschweißen und zu Waffen weiterverarbeiten! Die Nazis, die alle Völker unterjochen wollten, dachten, sie könnten den 2. Weltkrieg mit derartigen Schritten doch noch für sich entscheiden.
Während des Krieges wurde die Stadt verwüstet. Die großartigen Tage des Steinplatzes waren verschwunden. Der Platz verlor seine Attraktivität. Eisen und Kohle halfen dem Land durch die tatkräftige Unterstützung der Arbeitsmigration auf die Beine.
Zu der Zeit, als Gorbatschow, der letzte Staatssekräter der UDSSR die Höesch- Fabrik besucht und hier zu der Belegschaft eine Rede hält, wird auch parallel dazu die Skulptur wieder hergerichtet. Alte Bücher und Skizzen wurden rausgeholt, Pläne geschmiedet und der Eisengießer Brunnen wurde im Jahre 1990 wieder hergestellt und aufgerichtet.
Was passierte danach? Die neoliberale Welle schlug auch in der Nordstadt ein. Die Fabriken und Betriebe der Bergbau machten nach und nach dicht oder wurden in andere Orte verlagert. Die Enkelkinder der Arbeiter zogen sichaus dem Stadtteil zurück. Dann machte die Nordstadt ihre Tore für Migranten aus Osteuropa auf. Deswegen wird auch ihr Name immerzu neben Europaprojekten, neben Rehabilitationmaßnahmen und Integrationsprojekten genannt. Heutzutage werden hier 160 Sprachen gesprochen. Sie ist ein Weltstadtteil geworden. Sie ist so reich wie die Welt, aber gleichzeitig auch genauso arm wie sie. Karacoglans weise Worte oben haben natürlich auch einen Anfang. Der Volksdichter sagt: “ Karacaoglan sagte, schau da, was ward/ Die Hälfte meines Lebens wurd geplündert.“ In der Nordstadt leben heute Tausende, bei denen die Hälfte des Lebens geplündert wurde. Der prächtige Eisengießer, dessen Bronzeskulptur 300 Kilo wiegt, erzählt auch gleichzeitig die Geschichte der Arbeiterklasse. In seinem Schatten fliegen heute die Tauben frei umher.
( Übersetzung aus dem Türkischen von Özgür Metin Demirel )
Antworten