HÜSEYİN KANTAŞ
Dortmund wacht zu einem neuen Tag auf und ich zu einem neuen gefangengenommenem Morgen… Zumeist wache ich durch den Geräuschpegel der Eisenbahngleise zu sehr früher Morgenstunde auf. Wenn ich aus dem Fenster meiner mit dem frischen Kaffeegeruch überfüllten Küche herausblicke, sehe ich als erstes den Hafen der Stadt und soweit ich mich zurückentsinnen kann, beobachte ich als erstes die Möwen, die beunruhigt durcheinanderfliegen… Als ob ich dabei am Fuße der Berge stehend das Salzwasser der Meere tief in meine Lungen einziehen würde…
Die Rauchwolken aus den Schornsteinen steigen langsam zu den Wolken auf und meine Gedanken zu meinen Träumen. Ich beobachte die aufsteigenden Rauchwolken und die ihre Gestalten, die sie nach und nach verändern und verfalle zugleich in Träume. In Wirklichkeit dennoch frage ich mich, wer alles in dieser Nacht und zu dieser frühen Morgenstunde wohl in diesen Fabriken arbeiten muss und für wen gearbeitet wird. Auch wenn es mir vorkommt, als ob diese Rauchwolken mir gehörten, bilden sie wohl eher deren Schweiß und Sehnsüchte. Wer weiß es schon besser?..
Wenn ich die Regionalzüge vorrbeifahren sehe, kommt mir Orhan Veli”s Verse in Gedanken “Mein Armer / Weder gibt es eine Schönheit / Die mir Trost spendet/ Noch ein bekanntes Gesicht/ Wehe ich höre den Klang einer Eisenbahn /Fliessen mir schon die Tränen.”… So fängt mein Tag an.
Als ob der April versucht mir zu verdeutlichen, dass trotz allem der Frühling naherückt und die Brise des Frühlings sich ausbreitet. Es kommt mir auch so vor, als ob er mir erklärte, dass Neuanfänge heranrücken. An allen vier Jahreszeiten sind Bäume wunderschön, während des Regenwetters wirken sie noch lebendiger als sonst, mit den Winden zitternd, im Herbst ihre Blätter verlierend, die wie Schneeeflocken umherfschweifen und jetzt merke ich, während ich jetzt unter ihren blühenden Ästen mich fortbewege, dass der Frühling bald da ist. Ich fühle als ein emotionaler Mensch, dass der Herbst für die Trauer steht, während der Frühling Neuanfang bedeutet.
Die blühenden Äste der Bäume verleiten mich daran zu denken, dass alles vergänglich ist, aber sich vernünftig und rational fortentwickelt. Insbesondere zu der Zeit der zweiten großen Welle der Pandemie und während ich zu Fuß zum Stadtzentrum laufe, wird mir das umso mehr klar… Liebe ich diesen Tag vielleicht deswegen so sehr, weil er ein Frühlingstag ist? Ist es die schöne Duft des Frühlings, die mir imponiert? Warum sonst fühle ich mich aber dennoch, dass ich auf dieser Welt wo anders und allein stehe? Warum habe ich das Gefühl, dass ich verlassen und traurig bin?
Ich hebe meinen Kopf und sehe zum ersten Mal, dass Dortmunds U sich wie verrückt dreht, auf dem großen Bildschirm darunter die farbigen Fische und ich höre meine innere Stimme, die gerade zu mir spricht: “Vielleicht treffe ich wohl diesemal in der Stadt ein bekanntes Gesicht” …Ich denke an vielerlei bin in meine Gedanken tief gesunken, um den Tag zu lieben und horche mit dem Läuten der Kirchenglocken erschrocken auf, deren Anfang ich wohl verpasst habe. Die sich vor den Kaufhäusern bildenden Menschenschlangen, wo die Kunden mit dem Kaufhauspersonal einen Termin für den Einkauf vereinbarten… Die Schaufensterpuppen hinter den Schaufenstern der Einkaufspassagen, die luxeriös eingekleidet wurden, werden wieder einmal mehr beachtet, als die bedürftigen, notbedeckten Menschen, die auf der Straße leben und schlafen. Dann denke ich kurz an die Fotos, die ich auf der Straße gemacht habe…
Ein Mensch darf unter keinen Umständen obdachlos bleiben. Jede Geschichte muss mit einem Happy End ausgehen. Der Regen fällt behutsam auf den Boden. Die Stadt, das Haus der Obdachlosen wird langsam nass. Während ich die Treppen hinunterlaufe, wird der Bahnhof Dortmund sichbar und mit einer durchsichtigen Grenze wird die Stadt in zwei Hälfte geteilt. Geschichten werden in der Mitte durchtrennt. Das eine Tor schaut dem Stadtzentrum, das andere der Nortstadt entgegen. Eine Grenze, die nicht nur deutlich macht, dass die Geschichten der Menschen sich voneinander unterscheiden, sondern auch die der Städte.
So wie der Mensch seine eigene Vergangenheit nicht ausradieren kann, können auch Orte ihre Geschichte nicht leugnen. Als ich durch die Nordstadt laufe, kommen mir die Straßen in den Sinn, durch die ich vor 20 Jahren gelaufen bin. Nordstadt war immer schon eine Ortschaft der Fremden und sie ist auch jetzt mir so fremd. Die Straßen, die Bürgersteige, die Geschäfte, die alten Häuser… Das Gesicht der Nordstadt ändert sich kaum. Nur die Menschen sind jetzt andere. Es sind jetzt andere Fremde!
Es kommt mir so vor, als ob die Gesichter der Menschen in der Nordstadt verbittert sind oder ich bin einfach so verbittert. Die Sehnsüchte, die weit zurückliegenden Erinnerungen, das Gefühl der Niederlage, manchmal des Zornes, und der Wille der am allermeisten der Ängste und sich an die Hoffnung festklammern zu wollen. Die Ungleichheit in der Gesellschaft trägt die Verantwortung für diese erdrückende, bittere Stimmung. Den tobenden rücksichtlosen Kampf zwischen Gut und Böse müssen unbedingt die Guten für sich entscheiden. In der homepage der Stimme der Nordstadt habe ich mir mal eine Dokumentation angeschaut, die deutlich machte, dass die meisten Menschen hier noch Hoffnung haben. Haben denn die vorher schon Geschriebenen die Nordstadt gänzlich richtig erklären können, so dass ich auch in der Lage bin, dies in nur einem kleinen Artikel schaffen zu können. Jeder lebt in seiner eigenen Vergangenheit weiter. Wie auch der Philosoph Cicero eins sagte: “ Was mir gehört, ist das, was ich bei mir tragen kann.”. Nordstadt als eine Ort repräsentiert halt diejenige Geschichte, die “die Inländer” und “Fremde”, die hiernleben, auch mit sich rumschleppen. Vielleicht werden ja die nachfolgenden Generationen zusammenleben und damit eine neue Geschichte schreiben.
(Übersetzung: Özgür Metin Demirel)
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