Die durch den Neoliberalismus in Vergessenheit verurteilten menschlichen Werte, blühen jetzt wieder auf. Wir besinnen uns an die Bedeutung der Bildung und Wissenschaften zurück. Für eine menschliche Solidarität reichen wir uns die Hände.
ABBAS DOĞAN
Ich bin Anfang des Jahres 1990 nach Deutschland gekommen und ließ mich in Dortmund nieder. Die erste Zeit war auch für mich sehr schwer gewesen. Ich versuchte in einer neuen Gesellschaft zu bestehen. Es erwartete mich hier ein anderes, fremdes Leben. Es gab viele, die halfen. Aber ich war trotzdem doch nur ein Fremder!
Eigentlich hatte ich auch in der Türkei meinen Wohnort vielmals gewechselt. Meine erste Zuwanderung vollzog ich im Grundschulalter. In dem Dorf, wo ich auf die Welt kam, gab es keine Grundschule und meine Familie zog in die Kreisstadt hin. Später sind wir mit der Familie in die Provinz Erzincan umgezogen. Ich studierte in Gümüşhane. Ich war Lehrer in Van. In einem Berggebiet von ca. zehn Dörfern habe ich hier gelehrt.
Dann gab es die Haftphase in meinem Leben und danach ein ganz neues, anderes Land…
Nach alldem hat mir Dortmund gezeigt, was es eigentlich bedeutete, was wahre Migration bedeutete. Als ein Migrant versuchte ich mich ernsthaft zu integrieren und nicht so tun, als ob ich mir Mühe geben würde, mich irgendwie anzupassen. Ich versuchte ein Teil der Gesellschaft zu sein und gab mir Mühe mein Verhalten nach der neuen Gesellschaft zu richten. Ich nahm auch gleichzeitig an der politischen und sozialen Landschaft aktiv teil. Auf meiner ersten Kundgebung hörte ich das Sprechchor “ Hoch die internationale Solidarität“ und dachte sofort darüber“ Das ist es“. “ Diese Solidarität war es gewesen, was wir ja eigentlich so dringend suchten und benötigten!“ Es gab so viele Sprechchöre, wobei ich mit mache. Aber bei diesem Slogan war meine Stimme immer am lautesten. Diese Forderung hatte immer einen sehr hohen Stellenwert bei mir und sie war sozusagen unverzichtbar geworden. Ich denke auch heute noch so.
Diese Forderung war unter anderem immerhin auch ein fester Bestand der anatolischen Kultur gewesen, in der ich aufgewachsen war. Solidarität war deswegen auch sehr wichtig in meinem Leben. In meiner Jugendzeit kamen wir alle zusammen und halfen den Bauern bei der Ernte. Wir unterhielten uns lange mit ihnen. Wir reisten von unserem Dorf aus immer mit einem Kleinbus in die Stadt. Die Dorfbewohner kannten wir alle. Wir wussten wer arm oder wer finanziell bessergestellt gewesen war. Wenn unser Sitznachbar zu den Ärmeren gehörte, zahlten wir natürlich für ihn auch die Fahrt mit. Ich weiß gar nicht, ob sie darüber froh gewesen waren. Aber wir wurden unbeschreiblich glücklich, wenn wir ihnen helfen konnten.
Natürlich ging das nicht ewig so. So konnte es ja auch nicht ewig andauern. Nach der Maßnahmen von Turgut Özal vom 24. Januar und dem Militärputsch vom 12. September veränderte sich alles. Als Opfer des Militärputsches bin ich für 7 Jahre von Erzincan getrennt gewesen. Als ich nach 7 Jahren nach Erzincan zurückkehrte, hatte sich alles verändert. Es gab keine gegenseitige Unterstützung und Solidarität mehr! Jeder war an sein eigenes Geldbeutel, Eigenvorteil bedacht, jeder wollte reich werden, jeder verfolgte sein eigenes Individualinteresse. Sie richteten sich alle nur noch nach den eigenen Vorteilen. Es war sogar für alle gut, wenn sie nur etwas Vorteilhaftes für sich herausreißen konnten.
Als ich nach Deutschland kam, konnte ich da gleiche auch hier beobachten. In der ersten Zeit wurden Neuankömmlinge als Gäste gut empfangen und mit einer Unterstützung von 50-100 Mark nach Hause verabschiedet. Die neoliberale Zeit hat auch die Migrantinnen vergiftet. Diejenigen genossen eine höheres Ansehen, die reich waren, sich zuerst nach eigenen Finanzinteressen richteten, sich an das Konkurrenzdenken des Marktes unterordneten. Genau wie in dem Rest der Welt wurde auch in Deutschland jeder als „dumm“ bezeichnet, der sich solidarisierte, ohne eine Gegenleistung half etc.. Natürlich gab es auch einige, die sich dagegen wehrten und die Solidaritätskultur der Arbeiterklasse immer noch aufrechthielten. Unter den Deutschen waren diese viel mehr als unter MigrantInnen.
Die Covid-19 Pandemie hat aber die Steine von Grund aus verschoben. Unser Leben veränderte sich grundlegend. Die Menschen verschanzten sich in den eigenen vier Wänden. Jedes Gespräch drehte sich um den Coronavirus. Der Sozialabstand, den man einhalten sollte, bestimmte über alles andere. Sogar Scherze und Humor änderten sich. Wir entsannen uns auf die Bedeutung der Bildung und der Wissenschaften. Wir wurden auch in dieser schwierigen Pandemiezeit Zeuge der unbarmherzigen Räubereien der imperialistischer Staaten. Wir hörten aber auch immer wieder von internationalet Solidarität.
In Dortmund haben im Rahmen der Corona- Maßnahmen Jugendliche und diverse Gruppen auf Plakaten schriftlich festgehalten und ihre persönlichen Kontaktdaten, sogar ihre persönlichen Telefonnummern geschrieben, wodrauf geschrieben stand “ die Menschen seien nicht allein und sie würden gerne den Armen, Älteren und Bedürftigen helfen“. Das war eine bedeutsame Solidaritätsaktion.
Wir entsinnen uns jetzt an die Werte zurück und eignen sie uns wieder an , die der Neoliberalismus in Vergessenheit verdammt hatte. Jugendliche des Bezent e.V. haben ohne Unterschiede zu machen Hilfepakete gesammelt und verteilt. Das Leuchten in ihren Augen müsste man gesehen haben, als sie geholfen haben. Ihre Augen leuchteten voller Hoffnung und Zuversicht. Sie haben das Feuer in meinem Herzen entfacht. Durch die Hilfsaktion nahm die Bedeutung des Slogans “ Hoch die internationale Solidarität“ richtig Gestalt an. Wir machen das, was nötig ist. Und wir werden weiterleben, indem wir das Nötige weiterhin machen.
( Übersetzung: Özgür Metin Demirel )
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